Mein Lernaufenthalt in Italien
ein ERASMUS+ - Erfahrungsbericht
„Diese unschätzbare Kultur, seit mehreren tausend Jahren entsprungen, gewachsen, ausgebreitet, gedämpft, gedrückt, nie ganz erdrückt, wieder aufatmend, sich neu belebend und nach wie vor in unendlichen Tätigkeiten hervortretend, gab ihm ganz andere Begriffe, wohin die Menschheit gelangen kann.“
Zugegeben, ich mag Goethe. Wer weiß, dass ich Deutsch und Latein am Robert-Schumann-Gymnasium unterrichte, braucht eigentlich keine weitere Erklärung. Aber warum ich es dem Dichterfürst gleich getan habe und für zwei Wochen nach Italien gegangen bin, möchte ich im Folgenden kurz erläutern.
Das Robert-Schumann-Gymnasium ist eine der wenigen Schulen in Leipzig, die am Programm ERASMUS + teilnehmen. Dieses Projekt bietet im Rahmen der Leitaktion 1 Mobilitätschancen innerhalb Europas - nicht nur für Studierende und Schüler/-innen, sondern auch für Lehrkräfte, welche damit die Möglichkeit haben, Fortbildungen oder Schulen innerhalb der EU zu besuchen. Ich habe mich für letzteres interessiert und im Istituto Comprensivo 2 "Riccardo Gulia eine Schule in Sora (Italien) gefunden, die ebenfalls am Programm teilnimmt und mir eine solche Mobilitätschance für knapp 2 Wochen im November 2021 ermöglichte.
Schon lange hatte ich mich auf Sora gefreut, viel länger als gedacht, denn eigentlich war mein Aufenthalt bereits für März 2020 geplant. Doch auch anderthalb Jahre nach Beginn der globalen Corona-Pandemie ist das Virus noch immer präsent, in Deutschland ebenso wie in Italien: So begrüßten mich in Sora nicht nur die Schulleitung und der Erasmus-Koordinator Marco Palmigiani, sondern auch eine Gesichtswärmekamera, die meine Körpertemperatur misst. Mit einer erhöhten Temperatur oder ohne den Green Pass (= die italienische Variante des CovPass) hätte mein Aufenthalt ganz schnell an den Pforten der italienischen Schule geendet!
Glücklicherweise kam es nicht dazu (auch wenn das vis-à-vis mit der Wärmekamera zu meiner morgendlichen Routine vor dem Betreten der Schule gehören würde) und ich konnte mit Schüler/-innen, Lehrer/-innen und Mitarbeiter/-innen der Schulen in Sora in Kontakt treten, schließlich kann kein Austausch ohne Begegnungen stattfinden. Doch was bedeutete dies nun für mich? Ich besuchte nicht nur eine, sondern gleich mehrere Schulstandorte des Istituto Comprensivo 2 "Riccardo Gulia" sowie die Gymnasien Liceo Classico „V. Simoncelli“ und Liceo Linguistico e delle Scienze Umane "V. Gioberti“, die in Kooperation mit meiner Gastschule standen. Die Vielzahl der Begegnungen ermöglichte es mir, einen Einblick in das italienische Schulsystem und den Unterrichtsalltag zu erhalten, der sich doch von dem in Deutschland unterscheidet:
Samstagsunterricht? In Italien auch noch heute an Gymnasien ganz normal!
Mittagspausen? Nicht mehr für Schüler/-innen ab der 6. Klasse!
Doch richtig erfahrbar wurde mein Aufenthalt natürlich erst durch den Austausch mit den Menschen vor Ort, die auch neugierig darauf waren, was ein Deutsch-/Lateinlehrer aus der Stadt des RB Leipzig (damit wusste fast jeder etwas anzufangen) zu erzählen hatte. So stand ich des Öfteren vor der Klasse und berichtete von Deutschland, dem Latein- und Deutschunterricht an deutschen Schulen und hielt ebenso einige Lateinstunden – natürlich auf Italienisch! Hier kamen sicherlich meine Sprachkenntnisse aus meinem Auslandssemester zugute, wobei die eine oder andere Vokabel natürlich nicht mehr ganz so schnell wiederkam (was hieß nochmal „Dreh dich bitte um!“ auf Italienisch?!). Aber sowohl Schüler/-innen als auch Lehrer/-innen haben es mir verziehen, wenn sich in mein Italienisch doch die eine oder andere lateinische Vokabel hineinverirrt hat – so war es schließlich für alle ein nachhaltiges Erlebnis!
Das herzliche Miteinander ist jedoch nicht nur ein Stück italienische Lebenskultur, sondern auch Bestandteil eines europäischen Gemeinschaftsgefühls, von dem schon Goethe in dem zu Beginn angeführten Zitat sprach und das ich ebenso wie meine italienischen Kolleg/-innen teile: Zusammen zu arbeiten, gemeinsam zu lernen und voneinander zu profitieren, sind Möglichkeiten und Chancen, die wir durch Projekte wie Erasmus + besitzen und auch nutzen sollten. Das sehen ebenso die Kolleg/-innen des Istituto Comprensivo 2 "Riccardo Gulia", die womöglich auch ihre Chance nutzen und nach Leipzig kommen möchten (Se voi, colleghi italiani, lo leggete: Siamo pronti per voi e non vediamo l´ora di darvi il benarrivato a Lipsia!). Und auch wir werden sie dann willkommen heißen, denn wir Europäer/-innen teilen denselben Geist – „wieder aufatmend, sich neu belebend und nach wie vor in unendlichen Tätigkeiten hervortretend“. Vielleicht mag uns Goethes Zitat sehr pathetisch vorkommen, doch womöglich braucht es das heute mehr als je zuvor.
Alexander Bretschneider